Das Arbeitszeugnis in der Schweiz: Rechte, Pflichten und juristische Fallstricke
- Roman Welzk
- 6. Juni
- 4 Min. Lesezeit
Das Arbeitszeugnis ist in der Schweiz ein zentrales Dokument in der beruflichen Laufbahn. Es begleitet Arbeitnehmende durch ihre Karrieren und spielt eine wichtige Rolle bei Stellenwechseln und Bewerbungsverfahren. Gleichzeitig bestehen rund um das Zeugnis viele Unsicherheiten: Welche Formulierungen sind erlaubt? Welche Ansprüche bestehen? Und wie kann man sich gegen ein unvorteilhaftes Zeugnis zur Wehr setzen?
Dieser Artikel liefert eine umfassende juristische Orientierung zum Thema Arbeitszeugnis in der Schweiz. Er richtet sich an Arbeitnehmende, Arbeitgeber und HR-Fachpersonen.
Gesetzliche Grundlage: Das sagt das Obligationenrecht
Der Anspruch auf ein Arbeitszeugnis ist in der Schweiz gesetzlich verankert – und zwar in Artikel 330a des Obligationenrechts (OR). Dort heisst es:
„Der Arbeitnehmer kann jederzeit vom Arbeitgeber ein Zeugnis verlangen, das sich über die Art und Dauer des Arbeitsverhältnisses sowie über seine Leistungen und sein Verhalten ausspricht.“
Daraus ergeben sich zwei zentrale Punkte:
Arbeitnehmende haben einen gesetzlichen Anspruch auf ein qualifiziertes Arbeitszeugnis.
Dieser Anspruch besteht jederzeit, also auch während des laufenden Arbeitsverhältnisses (zum Beispiel in Form eines Zwischenzeugnisses).
Arten von Arbeitszeugnissen
In der Praxis wird zwischen verschiedenen Zeugnisarten unterschieden:
Vollzeugnis (qualifiziertes Zeugnis):
Dies ist die übliche und vollständige Form. Es enthält Informationen zur Art und Dauer des Arbeitsverhältnisses, zur Funktion und den Aufgaben sowie zur Beurteilung von Leistung und Verhalten. Optional kann auch der Austrittsgrund genannt werden.
Einfaches Zeugnis (Arbeitsbestätigung):
Dieses beschränkt sich auf eine Bestätigung der Anstellung mit Funktion und Beschäftigungsdauer. Eine Beurteilung von Leistung oder Verhalten erfolgt nicht. Diese Form wird meist auf Wunsch der Arbeitnehmenden oder bei kürzeren Einsätzen ausgestellt.
Zwischenzeugnis:
Ein Zwischenzeugnis kann während eines laufenden Arbeitsverhältnisses ausgestellt werden – etwa bei einem Vorgesetztenwechsel, einer neuen Position oder bei einer Bewerbung. Es hat den gleichen Aufbau wie ein Vollzeugnis und dient zur Zwischenbilanz.
Grundsätze: Wahrheit, Wohlwollen und Vollständigkeit
Die Schweizer Rechtsprechung hat klare Anforderungen an Arbeitszeugnisse definiert:
Wahrheitspflicht:
Das Zeugnis muss den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechen. Es darf weder übertrieben loben noch verschleiern oder bewusst falsch darstellen.
Wohlwollensgebot:
Das Zeugnis darf die künftige berufliche Entwicklung nicht unnötig erschweren. Auch bei kritischer Beurteilung müssen Formulierungen respektvoll und sachlich bleiben.
Vollständigkeit:
Wichtige Aspekte des Arbeitsverhältnisses – etwa Führungsverantwortung, zentrale Projekte oder langjährige Verdienste – müssen erwähnt werden. Eine gezielte Auslassung kann bereits als Abwertung gelten.
Klarheit:
Versteckte Andeutungen oder sogenannte „Geheimcodes“ sind in der Schweiz unzulässig. Das Zeugnis soll für Dritte transparent und eindeutig verständlich sein.
Typischer Aufbau eines Schweizer Arbeitszeugnisses
Ein korrektes Arbeitszeugnis umfasst in der Regel folgende Elemente:
Einleitung: Angaben zur Person, Funktion und Dauer der Anstellung
Aufgabenbeschreibung: Aufzählung und Beschreibung der Tätigkeiten und Verantwortungsbereiche
Leistungsbeurteilung: Bewertung von Arbeitsqualität, Arbeitsweise, Effizienz und Engagement
Verhaltensbeurteilung: Aussagen zum Sozialverhalten gegenüber Vorgesetzten, Mitarbeitenden und Kunden
Austrittsgrund (optional): Freiwillig, auf eigenen Wunsch, betriebsbedingt etc.
Schlusssatz: Dank, Bedauern über das Ausscheiden, Zukunftswünsche
Ort, Datum und Unterschrift
Korrektur und Anspruch auf Änderung
Arbeitnehmende haben das Recht, ein fehlerhaftes oder missverständliches Zeugnis korrigieren zu lassen. Voraussetzung ist, dass sie plausibel begründen können, warum eine Formulierung unrichtig oder irreführend ist.
Der übliche Weg verläuft wie folgt:
Schriftliche Kontaktaufnahme mit dem Arbeitgeber mit konkretem Korrekturwunsch
Vorlage eines Gegenvorschlags mit neutraler oder alternativer Formulierung
Bei Uneinigkeit: Anrufung der Schlichtungsstelle oder des zuständigen Arbeitsgerichts
Gerichte verlangen keine „guten“ Zeugnisse, aber sie prüfen, ob das ausgestellte Zeugnis objektiv wahr und wohlwollend ist. Der Anspruch auf ein Zeugnis verjährt nach zehn Jahren – jedoch sollte man bereits beim Erhalt sofort aktiv werden.
Juristische Besonderheiten und Streitpunkte
Negative Ereignisse:
Ein einmaliges Fehlverhalten darf in der Regel nicht aufgeführt werden, sofern es keinen prägenden Einfluss auf das gesamte Arbeitsverhältnis hatte. Anders ist es bei systematischen Verstössen oder schweren Vorfällen – etwa bei Diebstahl, grober Pflichtverletzung oder langanhaltender ungenügender Leistung.
Krankheit und Unfall:
Angaben zu Krankheiten oder gesundheitlichen Einschränkungen dürfen grundsätzlich nicht erwähnt werden. Eine Ausnahme besteht, wenn die Krankheit das Arbeitsverhältnis wesentlich geprägt hat und die Erwähnung sachlich gerechtfertigt ist.
Beendigungsgrund:
Die Angabe des Austrittsgrundes ist nicht verpflichtend. Falls sie erfolgt, sollte sie korrekt und neutral formuliert sein. Bei fristlosen Kündigungen empfiehlt sich Zurückhaltung, um die weiteren Chancen der betroffenen Person nicht unnötig zu belasten.
Formulierungsfreiheit und Beurteilungsspielraum:
Arbeitgeber haben innerhalb des rechtlichen Rahmens gewisse Spielräume bei Formulierungen. Bei Streitigkeiten ist entscheidend, wie die Aussagen von einem objektiven Dritten verstanden werden – insbesondere von künftigen Arbeitgebern.
Typische Formulierungen und ihre Bedeutung
In der Praxis haben sich in der Schweiz bestimmte Formulierungsstandards etabliert, die im Subtext eine Bewertung transportieren. Ein Beispiel:
„stets zu unserer vollsten Zufriedenheit“ → sehr gut
„zu unserer vollen Zufriedenheit“ → gut
„zu unserer Zufriedenheit“ → befriedigend
„er hat sich bemüht“ → ungenügend
Besonders heikel ist es, wenn der Schlussabschnitt karg oder unvollständig ausfällt, etwa ohne Dank, ohne Bedauern und ohne Zukunftswünsche. Dies kann als Zeichen eines Konflikts oder einer schlechten Trennung gewertet werden – auch wenn der Inhalt formal korrekt ist.
Was tun bei unvorteilhaftem Arbeitszeugnis?
Zuerst das Gespräch suchen – viele Formulierungen lassen sich im Dialog klären.
Den Text mit früheren Zwischenzeugnissen oder internen Beurteilungen vergleichen.
Gegebenenfalls den Rechtsweg prüfen – insbesondere bei schwerwiegenden Abwertungen oder falschen Tatsachenbehauptungen.
Unterstützung durch Fachpersonen (HR-Experten, Arbeitsrechtler, Gewerkschaften) einholen.
Ein wohlformulierter Vorschlag für eine alternative Version ist oft der beste Einstieg in eine gütliche Lösung.
Fazit: Das Arbeitszeugnis ist mehr als ein Formalakt
Ein Arbeitszeugnis kann Türen öffnen oder verschließen. Es dokumentiert die berufliche Leistung, den Umgang im Team und das Verhalten gegenüber Vorgesetzten und Kunden. Deshalb sollten Arbeitnehmende ihr Zeugnis stets sorgfältig prüfen und bei Unstimmigkeiten konsequent handeln.
Auch Arbeitgeber profitieren von klaren, professionellen und rechtlich einwandfreien Zeugnissen. Sie helfen, Missverständnisse zu vermeiden, Rechtsstreitigkeiten vorzubeugen und einen respektvollen Abschluss eines Arbeitsverhältnisses zu ermöglichen.
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